Sonntag, 6. Oktober 2019

06.10.19 - Walking-Tour und Seilbahnfahrt



Letzte Nacht hab ich tief und fest geschlafen, bis etwa 7 Uhr. Blieb noch ne Stunde liegen, dann ging ich frühstücken und unterhielt mich gut mit Sven, einem anderen Deutschen hier. Danach musste der Berg auf meinem Rucksack mal beseitigt werden und die saubere Wäsche eingeräumt. Gar nicht so einfach, in der Wäscherei hat man alle Teile mit türkisem Faden markiert, den musste ich erstmal mit dem Taschenmesser raus schneiden… Danach recherchierte ich noch ein wenig in Richtung Titicacasee.
Kurz vor 11 machte ich mich auf, es war fast warm draußen, die Sonne schien mit leichten Wolken. Ich hatte nur zwei Pullis ohne Jacke an ;-) Ziel war der Plaza San Pedro gleich ums Eck, wo die Free Walking Tour losging. Die war gar nicht wirklich free, denn in Bolivien ist es verboten, irgendetwas kostenlos anzubieten. Somit kostete sie symbolische 20 Bolivianos. Wir waren gut 30 Leute, aber unser Guide Daniel war super und schaffte es, uns bis zum Schluss alle zusammen zu halten.
Am Plaza San Pedro steht ein ziemlich berühmtes Gefängnis, mitten in der Stadt. Berühmt deshalb, weil es ein Gefängnis ist, in dem ganze Familien leben. Die Häftlinge, die es natürlich nicht verlassen dürfen, und ihre Familien, die jederzeit raus können. 

Auf dem Foto sieht man die Schlange an Besuchern, die Angehörige besuchen wollen. Die Bewohner, über 2000, verwalten sich selbst, haben in acht Bezirken ihre Art Bürgermeister. Die Bezirke sind unterschiedlich reich, es werden große Geschäfte betrieben. In den Restaurants (die staatlich gestellte eine Mahlzeit am Tag muss schrecklich sein) hat Coca-Cola das Monopol, die haben Tische, Stühle, … gesponsort. Die wichtigste Einnahmequelle ist „Sugar“, wie Daniel berichtete. Das Wort Kokain wollte er auf Englisch nicht aussprechen, denn es klingt wie im Spanischen und das würde alle um uns rum aufmerksam machen. Also werden mit Sugar Millionen gemacht. Für einige Jahre war das Gefängnis als Geheimtipp im Lonely Planet, man konnte nämlich Touren hinein machen. Dann ist aber wohl einiges vorgefallen und inzwischen sind sie illegal. Und wenn man wieder raus will, muss man der Polizei am Eingang hunderte Dollar zahlen…

Weiter ging es dann durch einen sehr großen Markt, heute besonders, da Sonntag ist. Wie immer gibt es hier einfach alles zu kaufen. Besonders zu erwähnen sind die 400 verschiedenen Sorten Kartoffeln, die Bolivien hat und die wahrscheinlich alle irgendwo zu finden waren. Außerdem gibt es getrocknete Kartoffeln, die wie Steine aussehen und bis zu 30 Jahre haltbar sind. Leider hab ich von denen kein Foto, wird nachgeholt.
Außerdem erklärte Daniel uns die diversen Kleidungsschichten der Frauen in ihrer traditionellen Tracht. Die langen Röcke halten zum einen warm, zum anderen verstecken sie den Körperteil, der auf die Männer am anziehendsten ist: die Waden! Kein Witz, kräftige Waden sind ein Zeichen dafür, dass die Frau ihre Waren gut bergauf zum Markt schleppen kann! (Beim Mann übrigens volles schwarzes Haar und ein dicker Bauch, ein Zeichen dafür, dass er seine Familie ernähren kann.)

Und nun das skurrilste: Die Bowler auf dem Kopf! In den 1920er Jahren waren viele Engländer in Bolivien, Grund war der Eisenbahnbau, um die Schätze aus den Minen abzutransportieren. Die Engländer trugen natürlich Bowler und einer eröffnete einen Bowler-Laden und bestellte eine Schiffsladung aus England. Als die ankam, war das Entsetzen groß: zu klein und auch noch in braun! Man wollte sie den kleineren Bolivianern verkaufen, doch oh Schreck: Auch die hatten Dickschädel! So blieben nur noch die Frauen als mögliche Kunden. Man versuchte den ersten einzureden, ihr Outfit wäre nicht perfekt, es fehle ein Hut und schenkte ihnen einen. Die Frauen freuten sich, wollten ihn aber auch in einer größeren Größe. Da erzählte man ihnen, die Hüte wären in Europa absolut in Mode und sie müssten so hoch sitzen. Die bolivianischen Frauen, die auch europäisch wirken wollten, waren von ihrem Geschenk begeistert und empfahlen ihren Freundinnen den Laden. Und bald trug jede Frau einen Bowler, bis heute. Sitzt der Hut gerade, ist die Frau vergeben, sitzt er schief, ist sie ledig oder verwitwet. Oder der Wind weht zu stark! Die Hüte werden nämlich nicht befestigt!
Nach einer Flut an Informationen ging’s zum Hexenmarkt. Auch wenn der mitten im Touri-Viertel ist, ist er v.a. für die Einheimischen. 

Auf dem Bild sieht man Lama-Föten bzw. Babies. Die werden mit einigem anderen verbrannt, wenn man ein Haus bauen will. Denn auch wenn man den Boden darunter gekauft hat, gehört er doch immer noch Pachamama, Mutter Erde, und die muss gut gestimmt werden. Für größere Häuser sind allerdings Menschenopfer nötig, vorzugsweise Touristen…
Weiter ging es zur Kathedrale San Francisco, die ich heute das erste Mal genauer betrachtete. Ziemlich einmalig ist nämlich, dass an der Fassade viele Objekte aus dem Glauben der alten Völker hier entstammen. Ziel der spanischen Invasoren war, die Menschen in die Kirche zu locken und sie hatten Erfolg. Gegenüber der Kirche kann man Urban Rush machen und im Superhelden-Stil die Wand runterrennen…

Schließlich ging es in einen dritten Markt, hier gab es einen Futterstopp mit Avocado-Sandwich (die sind super cremig hier) und Saft. Man beachte die Asiatin links vorne im Bild. Den Selfie-Stick immer im Anschlag filmte sie echt alles, auch den Saftmixer.

Letzter Sightseeing-Punkt war der Plaza Murillo, an dem die Regierungsgebäude stehen. Hier fand irgendwas Größeres statt und wir konnten einige Tänzer in farbenfrohen Outfits sehen. 

Von dort aus ging es noch in ein süßes Restaurant, das wohl zu Red Cap gehört. Hier gab es für alle einen Shot eines lokalen Drinks und Daniel sprach ohne fremde Zuhörer über den Präsidenten Evo Morales. Seit 14 Jahren Präsident hat er einiges für sein Land getan: Staatliche Unterstützung für schwangere Frauen bis zum 2. Geburtstag des Kindes, Unterstützung für Kinder, die nachweislich eine Schule besuchen, Straßenbau, Bau der Seilbahnen in La Paz, … Die Leute waren sehr glücklich mit ihm, bis er sich – entgegen der von ihm selbst verfassten Verfassung – eine dritte Wahlkandidatur erschlich. Die Leute waren empört, trotzdem gewann er die Wahl mit über 60% der Stimmen, mehr als je zuvor. Es stellte sich heraus, dass Tote gewählt hatten! Mit ihren Ausweisen sind andere zur Wahl gegangen. Nun geht diese 3. Amtszeit zu Ende, mit einem Volksentscheid forderte ihr die Bolivianer auf, dass er wieder kandidieren dürfe. Er verlor, knapp, doch mit Hilfe seines Parlaments schaffte er es und kandidiert schon wieder. Überall sieht man hier „Evo Si“ Schriftzüge an Hauswänden und allem, was sich sonst anmalen lässt. Im Raum um Santa Cruz war das übrigens anders, da stand überall „Bolivia dice no“ (Bolivien sagt nein). Die Wahl ist in zwei Wochen, es dürfte spannend werden, wie die Sache ausgeht.
So, ich hoffe, ich habe euch mit dem ganzen Infomaterial nicht gelangweilt, ich fand es super interessant, Details, die man in keinem Reiseführer nachlesen kann…
Nach der Tour, es war inzwischen 2 Uhr, machte ich mich auf die Suche nach einer im LP erwähnten Agentur, die günstige Touristenbusse zum Titicacasee hat, mit Pickup am Hotel. Gefunden und gebucht, morgen um 7.15Uhr (oder im Laufe der nächsten Stunde…) werde ich abgeholt, für gerade einmal 30 Bolivianos geht es vier Stunden nach Copacabana. Die Rückfahrt für Mittwoch hab ich gleich dazu gebucht, die kostet 35, warum auch immer ;-) Die Zeit dazwischen verbringe ich auf der Isla del Sol. Dort war ich im Rahmen einer organisierten Tour 2012 schon einmal, aber nur für eine Stunde, viel zu wenig.
Von dort aus lief ich ins Higher Ground, das Café, wo wir uns gestern früh getroffen hatten, um einen Cappuccino zu trinken. Dabei buchte ich mein Hostel auf der Insel und entdeckte dieses tolle Schild (übrigens ist das Wifi-Passwort dort „NoMoreStraws“):

Nun wollte ich endlich einmal Seilbahn fahren. Zwischen dem Café und meinem Hostel ist eine Station, also ging es los. Schon echt witzig, so über den Dächern dahin zu schweben. Nackt Sonnen auf der Dachterrasse – die Zeiten sind hier vorbei! 


Es ging nach oben Richtung El Alto, der höher gelegenen ärmeren Stadt. Für gerade mal 3 Bolivianos pro Fahrstrecke bekommt man einen unglaublichen Ausblick über La Paz, El Alto und die umliegenden Berge. 


Ich fuhr mit der lila Linie bis zum Ende, dann wieder zur Mittelstation zurück, wo ich in die silberne wechselte. Die brachte mich zum Markt von El Alto, wo ich auch schon mal war, damals noch mit dem Minibus, der eine gefühlte Ewigkeit durch den Stau tuckerte. 

Stau gab es heute auch, jeder wollte die rote Linie nutzen, die von dort wieder nach unten ins Zentrum fährt. Also stand ich erst an der Kasse an (es gibt auch Karten zum Aufladen, aber das hab ich noch nicht kapiert) und dann an der Bahn selbst. Aber es wurden immer 10 Leute abgezählt, die in eine Gondel mussten, halb voll gab es nicht. Ging letztendlich doch recht schnell.

Die rote Linie fährt über ein besonderes Viertel, das weithin sichtbar ist, da es quietschbunt ist. Durch ein bisschen Farbe wurde aus einem der ärmsten Viertel eines, das Touristen anzieht und somit ein wenig Geld einnehmen kann. Leider hatte ich einen schlechten Platz und konnte quasi nur von oben fotografieren, vielleicht fahr ich am Donnerstag nochmal hier lang. 

Dann ging es auch noch über den riesigen Friedhof. Hier gab es sogar Bauten, in denen die Gräber dreistöckig übereinander lagen! (Das links im Bild sind keine Fenster in dem Haus, sondern lauter kleine Grabstätten)
An der Talstation angekommen lief ich noch ein ganzes Stück bergab, um wieder ins Zentrum zu kommen. Daniel hatte uns vorhin eine Empfehlung gegeben, der ich nun folgte. Es war 5 und ich hatte Hunger. Im Marrakesch gab’s bei einem netten Chef leckere Falafel mit Tee, als ich erwähnte, wer mich schickte, gab’s noch Hummus obendrauf. Als ich ein großzügiges Trinkgeld gab, bekam ich noch eine extra Umarmung, war echt ein putziger Kerl!

Ich lief zurück zum Hostel und war um 6 wieder in meinem Dorm. Ich packte den großen und den kleinen Rucksack, der große bleibt die nächsten Tage hier, und duschte. Jetzt ist es gleich 9 und ich liege in meinem Space-Shuttle. Morgen klingelt der Wecker um 6.45, wie gesagt, es geht früh los. Da es auf der Isla del Sol kein Wifi gibt (bzw. das extra kostet, vermutlich arschlangsam ist und ich das nicht einsehe), bleibt das Notebook hier und der nächste Blog erscheint am Mittwochabend bolivianischer Zeitrechnung. Also keine Verzweiflungstaten bis dorthin, lest was anderes zum Frühstück oder in der U-Bahn, ihr werdet es überleben! Per Whatsapp bin ich vielleicht aber doch erreichbar. Erstaunlicherweise funktioniert meine Sim-Karte für 10 Bolivianos nämlich echt noch immer, seit mittlerweile 12 Tagen!!! Also, bis dahin, macht’s gut!

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